Montag, 23.08.2004

 

Konnte trotz reichlichem Rotweingenuss recht gut schlafen.

Als Thomas aus dem Bad kam, war ich wach genug, ebenfalls aufzustehen. Während ich auf der Toilette saß, rang ich mit mir darum, ob ich zuerst duschen und Haare waschen solle und dann Rad fahren oder umgekehrt. Bei meinem Sonntags-Telefonat mit meiner Schwester ist nämlich ein längst fälliger Entschluss gefallen: Abnehmen. Die Love-Handles an meiner Taille wollten in letzter Zeit einfach nicht schmaler werden. Ich aß ja auch ohne Hemmungen – kein Wunder! Aber damit ist jetzt Schluss! Jetzt wird was getan. Zwei Kilo müssen unbedingt und fünf Kilo wären schön.

Etwa eine halbe Stunde später ( wegen dem Haarewaschen) stieg ich aufs Rad. Die Sonne schien bei 11 Grad im Schatten. Wieder kämpfte ich mich zuerst den Berg hinauf. Als Alternative könnte ich am Anfang der Tour auch bergab fahren, verschont von diesem Hoch und Runter wird man in unserer gebirgigen Gegend sowieso nicht. Das ist eigentlich schade, weil ich tausendmal lieber im Flachland radeln würde.

Ich landete wieder an dem Teich. Heute war dort keine Menschenseele. Wer soll auch Montag früh an den Teich gehen? Ich setzte mich auf eine Bank in der Sonne und sann über das Leben im Allgemeinen nach. Die Schwäne, dachte ich, haben es eigentlich gut. Sie müssen nur zusehen, dass sie was zum Essen ergattern und können die ganze restliche Zeit herumschwimmen. Keine Jagd nach modischer Garderobe, keine Wohnung, kein Auto und so weiter. Am meisten beneidete ich sie darum, dass sie keinen Papierkram sortieren, keine Formulare ausfüllen, nicht ihr stetig anwachsendes Hab und Gut dauernd aufräumen, nicht jeden Morgen zur Arbeit gehen, nicht eine Arbeit suchen müssen und bestimmt keinen unübersichtlichen Haushalt haben mit fünf Stapeln wichtiger Dokumente pro Nase, die gut sichtbar auf allen freien Stellen liegen, wie z.B. auf dem eleganten Kamin, auf dem Biedermeierschreibtisch, in der geerbten Porzellanschale, auf dem Zweisitzersofa, auf dem Dreisitzersofa usw. und dass sie nicht damit hadern müssen, dass sowieso nie eine Änderung diesbezüglich eintreten wird.

Die Schwäne hatten einen Sinn für Symmetrie. In gleichmäßigem Abstand standen im Morgensonnenlicht fünf von ihnen in einer Reihe und putzten sich fast synchron das Gefieder. Dann starteten einige von denen auf dem See. Mit ausladenden und geräuschvollen Flügelschlägen schwangen sie sich langsam aus dem Wasser, glitten kurz über der Wasserfläche entlang um sich dann in die Luft zu erheben. Sie müssen das den Fliegern abgeguckt haben, oder umgekehrt? Sie flogen eine Runde über den See um mir ein weiteres Schauspiel zu bieten, nämlich ihre Landung. Die Flügel zu Bremssegeln aufgestellt, die Beine mit den durch die Schwimmhäute breiten Füßen nach vorn gerichtet bremsten sie so geräuschvoll, wie sie gestartet waren auf der Wasseroberfläche ab,  setzten sich aufs Wasser richteten die Flügel und man sah ihnen rein gar nichts mehr von ihrem Flug an. Zwei machten es besonders Aufsehen erregend. Sie flogen im Synchronflug dicht über der Wasseroberfläche bis zum gemauerten Ufer, bremsten, immer noch synchron, kurz vor der Mauer ab, ich hatte schon die Luft angehalten, falteten, wiederum im Gleichklang, ihre Flügel aber dann musste einer von ihnen einen Flügel korrigieren. Ihre Silhouetten  hoben sich eindrucksvoll gegen die Morgensonne ab und ich hätte am liebsten Beifall geklatscht. In dem Moment kam mir ein sehr philosophischer Gedanke: Wenn man nur zur rechten Zeit am rechten Platz ist, bekommt man kostenlos und exklusiv und unverhofft, was man auch für viel Geld nicht kaufen könnte. Also stimmt es scheinbar doch, das Geld nicht alles ist.

Zwei Stunden später war ich wieder zu Hause und hatte das Gefühl, schon ein paar Gramm abgenommen zu haben. Ich kochte mir eine große Kanne Kaffee und hoffte inständig, dass mein Vorhaben, bis zum Abend nichts zu essen, nicht platzen würde durch eigene Unzulänglichkeit. Um es vorweg zu nehmen. Bis auf eine Nektarine habe ich nichts gegessen. Ich las die Zeitung, trank den Kaffee, putzte ein wenig an meinem Rad herum und las schließlich „Röslein rot“ zu Ende. Wie immer gab es bei Ingrid Noll eine Leiche.

Am sonnigen Nachmittag versuchte ich, Johannes ein paar Minuten im Garten festzuhalten, wir alberten eine Weile herum, dann verzog er sich wieder zu seinem besseren Freund – seinem Computer. Ich widmete mich der letzten Rabatte,  alle anderen hatte ich schon in den vergangenen  Tagen gejätet und irgendwann kam Thomas heim. Er hatte eine Apotheke leer gekauft und seine Laune war angesichts seiner nun doch in den Bereich des Möglichen gerutschten Genesung ein Stück besser. Immerhin sprach er drei Worte zu mir, nachdem er sich umgezogen hatte.

Wir aßen zu Abend, es gab selbst gebackenes Brot, das doppelt so groß geworden war, als es sollte, tauschten einige Meinungsverschiedenheiten wegen dem Urlaub aus und widmeten uns dann dem abendlichen Fernsehprogramm. Ich suchte mir ein weiteres Buch für den Abend und den nächsten Tag im verwaisten Kinderzimmer.