Lonja weint
Das Baby liegt
still in der Wiege und schaut mit großen, runden Augen zu den Eltern hinauf. In
seiner winzigen linken Faust hält es einen rosa Ring aus Plast mit einer
Klapperkugel daran. Es konzentriert sich so sehr auf das Schauen, dass der ganze
Rest von dem Baby wie erstarrt wirkt. Plötzlich löst sich die Erstarrung, das
Kind reißt sein kleines Ärmchen nach oben, dass die Klapper ein Geräusch abgibt
und lächelt die Eltern an. Auch bei den Eltern lockern sich die eben noch angespannten
Gesichtszüge und sie lächeln ihr Baby an. Dann lächeln sie sich an, der Mann
gibt seiner Frau einen Kuss auf den Hals, nachdem er ihr lockiges, dunkles Haar
ein wenig beiseite gelegt hat. Die Eltern löschen das Licht im Kinderzimmer und
ziehen leise die Tür zu. Einen kurzen Moment lauschen sie noch, doch alles was
sie hören ist das Geräusch der Klapper, die ihre Tochter in der Hand hielt.
Liebevoll und
nachdenklich schauen sich die Beiden in die Augen, der Mann legt seiner Schönen
den Arm um die Schultern und zieht sie mit sich ins Wohnzimmer.
„Heute ist sie ein
halbes Jahr. Ich liebe Dich.“ flüstert der Mann der Frau ins Ohr.
„Ich liebe Dich
auch“, sagt sie, umfasst seine Hüften und
legt den Kopf an die Brust ihres Liebsten.
„Verdammt noch mal...“
der Mann löst sich aus der Umarmung. „Psst!“ die Frau legt ihm zwei Finger auf
den Mund. Sie sprechen nicht darüber. Es ihr ein stilles Abkommen.
Eines Mittags
füttert die Mutter ihr Kind mit selbst gekochtem Brei aus Möhren und Kartoffeln.
Plötzlich ist ein heller Klang zu hören. Ein Zähnchen, denkt die Frau. Das
erste. Aber warum haben wir nichts davon
gemerkt? Jedem Baby tut es weh, wenn es Zähne bekommt. Warum nicht unserem?
Ungefähr zwei
Monate später, an einem Morgen im Frühsommer, nimmt die Mutter ihre Kleine aus
dem Kinderbettchen. Auf dem Laken neben der Einbuchtung, die das Köpfchen
hinterlassen hat, sieht sie einen dunkelgelben schmierigen Fleck. Die Mutter
guckt in das Ohr des Babys und entdeckt darin dicken Eiter. Jetzt kommt ihr das
Kind auch ungewöhnlich warm vor. Sie misst die Temperatur und muss mit
Entsetzen zusehen, wie schnell die angezeigte Zahl größer und größer wird. Das
hört gar nicht mehr auf! Sie ruft ängstlich nach ihrem Mann, nun sehen sie gemeinsam
zu, wie die Anzeige höher und höher klettert. Schon werden 41,2 Grad angezeigt.
„Wir fahren zum
Arzt, zieh Dich an!“ Fast wie ein Befehl klingt das.
Das Fieberthermometer
ist inzwischen bei 42 Grad angekommen, die Frau wirft es beiseite, rennt in den
Flur um sich eine Jacke und Schuhe anzuziehen, kommt zurück zu dem Kind, das
ihr mit hochrotem Kopf entgegen blickt, wickelt es in die weiße Decke und läuft
mit ihrem liebsten und einzigen kleinen Mädchen auf dem Arm hinaus zum
abfahrbereiten Auto.
Es ist acht Uhr,
doch die Straßen sind wie ausgestorben. Die Eltern schauen sich verständnislos
an und gleichzeitig fällt ihnen ein, dass Samstag ist, was sofort den nächsten
Schreck auslöst. Es könnte sein, dass gar kein Arzt in der Praxis ist! Der Mann
reagiert geistesgegenwärtig und biegt mit kreischenden Reifen nach rechts in
die Straße ein, die direkt zum Krankenhaus führt. Endlich dort angekommen, müssen sie eine ewige Zeit an der
geschlossenen Tür warten. Auf ihr Klingeln hin meldet sich eine Stimme aus der
Wechselsprechanlage und fragt sie alle möglichen Dinge. Die Zeit rinnt dahin.
Das Kind starrt mit kohledunklen runden Augen aus der Decke heraus. Der Vater
sieht sein Kind an und schreit seine panische Angst in die Anlage:
„Aufmachen, los! Unser Kind stirbt!“ So
hatte ihn die Frau noch niemals zuvor erlebt.
Jetzt geht alles
sehr schnell. Die Tür öffnet sich einen Spalt, der Mann stößt sie mit aller
Wucht richtig auf und ihnen wird von einer Schwester sofort die Tür zu einem
der vielen Sprechzimmer gewiesen. Dort legt die Mutter ihr Kind auf die Untersuchungsliege
und befreit es von der Decke. Seine Wangen weisen scharf abgezeichnete,
kreisrunde rote Flecken auf und fühlen sich kochend heiß an.
Durch das geschlossene
Fenster hören die Eltern, wie draußen auf der Straße ein Auto mit quietschenden
Reifen anhält und wenige Sekunden später reißt ein junger Mann die Tür auf. Er nickt
kurz, sagt dass er der Arzt sei und betrachtet das Kind. Laut ruft er nach der
Schwester, steckt seinen Kopf aus der Tür, um ihr knappe Anweisungen zu
erteilen und kommt schnell zu dem Kind zurück. Ohne es aus den Augen zu lassen,
zieht er eine Spritze auf und gibt dem kleinen Mädchen eine Injektion in den
Po. Es reagiert überhaupt nicht darauf.
„Sie haben aber ein
liebes Kind“ sagt er und beobachtet sie eingehend. Die Eltern schauen sich in
die Augen. Müde ist ihr Blick und stillschweigend einigen sie sich, das Thema
jetzt nicht anzubringen. Die Krankenschwester
öffnet erneut die Tür des Sprechzimmers und flüstert mit dem Arzt. „Der Krankenwagen ist da. Ihr Kind muss sofort
in die Kinderklinik“ sagt er “sonst stirbt es. Sie können hinterher fahren, ich
fahre mit dem Kind“.
***
Lonja sitzt mit
angezogenen Knien, den Rücken an die grob verputze, weiß getünchte Wand ihres Zimmers gelehnt, auf der weiß-blau
gestreiften Matratze, die ihr gleichermaßen als Nachtlager und Tagessofa dient.
Sie umfasst ihre Knie mit den kräftigen Armen, hält den Kopf schräg und schaut
ins Leere. Sie grübelt schon den ganzen Morgen darüber nach, was am vergangenen
Abend geschehen war.
Timmi, ein Junge
aus der Zwölften und ihr übernächster Nachbar, hatte sich angeboten, ihr bei
der Vorbereitung auf die Mathe-Prüfung zu helfen. Er war gegen 19 Uhr gekommen,
kurz darauf steckte Lonjas Mutter den Kopf zur Tür herein und meldete sich und
den Vater für die nächsten vier Stunden ab. Ins Kino wollten sie gehen und
danach noch ein Bier trinken. Sie vergaß nicht, Lonja an ihre
Gastgeberpflichten zu erinnern - sie sollte Timmi etwas zum Trinken anbieten.
Als die Eltern gegangen waren, entschied Timmi sich für Cola, worauf Lonja eine
gekühlte Flasche und zwei Gläser holte. Sie schenkte die beiden Gläser halb
voll und sie begannen, die Aufgaben durchzusprechen.
Nach mehr als zwei
Stunden klappte Timmi endlich den Hefter zu. Erleichtert atmete Lonja auf. Ihre
Lust auf Mathe hielt sich nämlich sehr in Grenzen. „Für ´ne Drei wird’s
reichen“ sagte er und hielt ihr das Glas
hin. „Gieß mir noch was ein, bitte.“ Er lümmelte sich auf eben die blau-weiß
gestreifte Matratze, auf der Lonja jetzt sitzt und nachdenkt. Sie redeten über
den Mathelehrer, den Timmi ganz gut fand. Lonja hatte keine konkrete Meinung zu
ihm. Sie fand ihn überflüssig. Dann berichtete Lonja von ihrer Klassenfahrt im letzten Jahr und Timmi
erzählte sogar von Anna, mit der er ein paar Monate eng befreundet gewesen war.
Er wollte Lonja etwas fragen, ließ es aber
schließlich bleiben. Das Mädchen war neugierig geworden, doch der junge Mann
gab nicht nach.
Lonja hat eine
Lieblings – CD, die wollte sie Timmi vorspielen. Sie saßen nebeneinander auf
der Matratze, jeder hielt seine Cola in der Hand und sie lauschten der Musik. Eine
kraftvolle und doch sanfte Frauenstimme und Texte von Liebe und Freundschaft erklangen
im Zimmer und ganz entspannt hörten die zwei jungen Leute zu. Wie zufällig
berührte Timmi, als er seine Sitzposition änderte, die Schulter des Mädchens
mit seinem Kopf. Dabei schaute er aus den Augenwinkeln zu ihrem Gesicht und da sie nicht ärgerlich guckte, ließ es
seinen Kopf so liegen. Auch sie lehnt ihren Kopf an seinen.
Lonja erinnert sich
genau an dieses Gefühl der Geborgenheit, das sie in dem Moment genoss. Beide hielten
die Augen geschlossen, auf einmal spürte das Mädchen Timmis Hand auf ihrem Fuß.
Sanft streichelte er ihn, indem er die Finger in Lonjas Strumpf hineingleiten
ließ. Es kitzelte ein bisschen und Lonja mußte lächeln. Er ließ seine Finger
rückwärts krabbeln in das Hosenbein von ihrer Jeans hin zur Wade und noch ein
wenig höher. Weil der Stoff den Weg versperrte, zog er langsam die Hand zurück
und fuhr an derselben Stelle, nur jetzt
nicht mehr auf der Haut, sondern auf dem Stoff der Hose fort. Als er ganz oben angelangt
war, griff er mit der Hand zwischen ihre Schenkel und übte dabei einen sanften
Druck aus. Und nun vernahm das Mädchen auch den schwerer gewordenen Atem des Jungen. Das erinnerte sie an einen
Film, den sie vor wenigen Tagen im Fernsehen gesehen hatte. Die Szene war der
momentanen Situation sehr ähnlich. Die Frau in dem Film bewegte ihr Becken
rhythmisch in kreisenden Bewegungen und auch ihr Atem wurde schwer. Lonja spielte
das nach und bewegte auch ihr Becken, worauf der Griff des Jungen zwischen ihren
Beinen immer fordernder wurde. Er näherte sein Gesicht dem ihren, sein Mund war
nur noch wenige Zentimeter von ihrem Mund entfernt und schon spürte das Mädchen
seine Lippen und sie spürte, wie seine Zunge ihre Zunge suchte.
Lonja denkt an
diesen allerersten richtigen Kuss ihres Lebens zurück und sie spürt noch einmal das feuchte
Gefühl. Sie denkt daran, wie Timmi seine Hand mit sanftem Druck auf ihren
Körper nach oben gleiten ließ und wie er plötzlich ganz zart ihre Brust
berührte. Mit den Fingerspitzen drückte er auf die Brustwarze ihrer rechten
Brust, löste seine Lippen von ihrem Mund um sie
gleich darauf auf ihre Brust zu pressen. Er schob ihren Pullover
nach oben, nahm die Spitze ihres Busens zwischen die Lippen und begann zart
daran zu saugen. Plötzlich spürte sie seine Lippen überall und auch seine
Finger, als draußen im Flur Geräusche zu hören waren. Aber erst ein forsch
gerufenes „Schatz, wir sind wieder da!“ erreichte den Jungen. Abrupt ließ er
von Lonja ab, zog ihr den Pullover herunter und fuhr sich mit den Fingern durch
das halblange Haar. Er hatte rote Wangen und seine Augen glänzten. Lonja
blickte auf seine Hose und sah, wie sich sein steifes Glied abzeichnete. Sie
weiß von Gesprächen der Mädchen in ihrer Klasse und besonders vom Fernsehen,
wie sich sexuelle Erregung äußert, aber sie weiß nicht, wie sich das anfühlt.
Sie hatte noch nie ein Gefühl, das ihr den
Atem beschleunigt hätte. Lonja denkt, dass sie deshalb etwas verpasst.
Sie kann nicht mitreden, wenn ihre Freundinnen von heißen Sommernächten
schwärmen und das macht sie in ihren eigenen Augen zu einer Außenseiterin.
Sie schwingt sich
von ihrer Matratze herunter und geht, auf Socken und mit hängenden Schultern
zur Mutter, die noch bei Kaffee und Morgenzeitung am Tisch im Wohnzimmer sitzt.
Sie setzt sich zu ihr und weiß nicht, wie sie anfangen soll. Eine Weile druckst
sie herum, dann schaut sie der Mutter in die Augen und fragt mit fester Stimme: „Mutti, wie ist das Gefühl
wegen dem in den Filmen die Männer und Frauen stöhnen und keuchen?“ Die Mutter
wird blass. Erschrocken schaut sie ihre Tochter an und senkt den Kopf. Sie geht
zu ihrem Stuhl, stellt sich hinter sie, beugt sich zu ihr hinunter und wiegt
sie hin und her, während sie ihr Gesicht in Lonjas Haar presst. Das Mädchen
spürt Feuchtigkeit auf ihrem Kopf und sie weiß, dass die Mutter weint. Sie
selbst hat noch nie geweint. Nicht einmal als Baby, das haben ihr die Eltern
einmal erzählt.
***
Kichernd und
schwatzend laufen die Freundinnen durch den Park. Es ist weit nach Mitternacht,
es ist warm und es ist Vollmond. Sie hatten sich mit den Anderen vom
Englischkurs getroffen, so wie sie es alle zwei Monate tun. Dieses Mal hatten
sie einen Tisch im besten Gartenlokal
der ganzen Gegend reservieren lassen. Sie hatten „vom heißen Stein“ gegessen,
sich wunderbar amüsiert und auch einige Flaschen Rotwein geleert. Sie blieben,
bis das Lokal schließen wollte und verbrachten noch eine lange Zeit gemeinsam
auf dem Marktplatz. Redeten und lachten. Es war total ruhig. Außer ihren
Stimmen und ihrem Lachen war nichts zu hören in der Stadt. Dann erhellte sich
ein Fenster, die Gardine wurde beiseite geschoben und ein lustig
aussehender Mann mit vielen Haaren am
Körper und keinen auf dem Kopf, bestimmt war er ganz nackt, beugte sich aus dem
Fenster. Wie, um die Nachbarn nicht stören zu wollen, rief er leise, so gut man
leise rufen kann, aus dem Fenster: „Ruhe!“ Das war das Zeichen. „Er hat ja recht“, sagte
Tom, der Vernünftige. Jeder umarmte Jeden und ihre Wege trennten sich in alle
Himmelsrichtungen. Die beiden Freundinnen machten sich Richtung Park auf den
Weg. Der Park ist zwar gruselig in der Nacht, aber er bietet eine enorme
Abkürzung. Und schließlich ist Bea mit Lonja unterwegs, da muss man keine Angst
haben.
Aber sie sind nicht
alleine zu so später Stunde. Hinter ihnen nähern sich Schritte. Lonja dreht
sich um und sieht zwei Männer näher kommen. Sie stößt Bea in die Seite und
kichert noch mehr. Als sich die Männer auf wenige Meter genähert haben, pöbeln
sie die Frauen an. Sie sind betrunken, das ist deutlich zu merken. Bea bekommt
Angst, sie will wegrennen. Lonja weigert sich. „Die spinnen doch nur“ sagt sie
und läuft ruhig weiter. Da sind die Männer plötzlich dicht hinter und gleich
auch neben ihnen. Beide versuchen, Bea auf eine Bank zu zerren. Bea kreischt
laut und versucht, sich loszureißen. Lonja greift dem jüngeren der beiden Männer
von hinten zwischen die Beine.
„Wow!“ ruft der völlig überrascht aus, richtet sich gerade auf und verharrt, um
das Gefühl zu genießen. Auch der andere Mann, der viel älter ist und sehr dick,
lässt von Bea ab um zu sehen, was daneben läuft. „Komm Süße, mach mir das auch“
lallt der Dicke und nähert sich Lonja von der anderen Seite. Lonja gibt Bea mit
einer Kopfbewegung das Zeichen, abzuhauen. Zuerst will der Dicke hinterher,
aber er überlegt es sich anders und bedrängt nun Lonja. Die hält immer noch den
Schwanz des Jüngeren mit ihrer Hand umschlossen und drückt plötzlich außergewöhnlich
fest zu.
Als Kind hatte sie mühsam
lernen müssen, dass andere Kinder etwas spüren, das Schmerz heißt, wenn sie sie
zu kräftig anfasste Jetzt jedoch ließ ihre Wut über diese stinkenden Mistkerle all
das vergessen. Der Schmerzschrei des Mannes erstickt in einem Röcheln. Er
taumelt zur Seite, kracht mit voller Wucht auf den Müllbehälter neben der Bank,
rutschte von diesem herunter und schlug
mit dem Kopf auf dem steinigen Weg auf. Mit den Beinen war er im Gras gelandet und sein Mittelstück lag
genau auf den Begrenzungssteinen. Der andere starrt erschrocken auf seinen
Kumpan und auch Lonja hat sich erschreckt. Denn wie der Typ so hilf- und reglos
da liegt, fallen ihr die Regeln wieder ein, die sie als Kind im Umgang mit Anderen
zu erlernen hatte.
Der dicke Mann
erholt sich schneller von dem Schreck als Lonja, und er stürzt sich jetzt mit
einer Mischung aus Wut und Geilheit auf die junge Frau. Sie hat keine Chance
gegen den Mann, denn der ist wesentlich größer als sie und mindestens doppelt
so schwer. Er wirft sie ins Gras, fällt mit ihr hin und wälzt sich über sie.
Schnaufend hievt er sich in den Kniestand und klemmt sie zwischen seinen Schenkeln ein. Er reißt ihr
die Bluse auf und begrabscht ihren
Busen. Plump und grob vergeht sich dieser eklige Kerl an Lonjas festen, kleinen
Brüsten. Nach einer Weile steigt er von ihr herunter und steckt seine dicken
Wurstfinger zwischen ihren Beinen in sie hinein. Ihren String schiebt er einfach
zur Seite. Die Frau liegt nur da und starrt diesen Mann an. „Was starrst du, du
blöde Kuh“ herrscht er sie an. “Tut es dir nicht weh! He? Los – schrei
endlich!“ Doch Lonja schreit nicht, denn ihr tut nichts weh. Sie findet die
Prozedur nur ausnehmend eklig und wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich
zu Hause im Bett zu sein. Außerdem müsste sie dringend auf’s Klo und überlegt
gerade, ob sie dem Typen auf die Finger pinkeln soll. Aber das soll manche
Männer noch geiler machen, hat sie gehört, und sie unterdrückt den Drang mit
viel Mühe. Der Fleischklops neben ihr nestelt seine Hose auf und holt seinen
riesengroßen, aber recht schlaffen Schwanz heraus. Er kniet sich breitbeinig
vor Lonja hin und zerrt sie zu sich heran. Ihr Po und der halbe Rücken liegen
auf seinen mächtigen Schenkeln, An ihren
Schultern und dem Kopf spürt sie
die von der Nacht feuchte Erde durch das kurzgeschorene Gras hindurch. Lonja
schaut genau zu, was der dicke, große Mann mit ihr veranstaltet, obwohl sie
sich furchtbar ekelt. Sie beschließt in diesem Moment, ein Buch über ihr
bisheriges Leben zu schreiben. Mit Hilfe beider Hände versucht der Mann seinen
Schwanz in Lonja hinein zu schieben. Sie sieht, wie etwas dunkles an seinen
Fingern klebt. Es könnte Blut sein, ihr Blut. Sie hofft nur, dass sie nicht zu
sehr verletzt sei und wohlmöglich verbluten könnte. Ein Schatten verdunkelt den
Mondschein, mit dessen Hilfe sie alles beobachten konnte. Der Jüngere scheint
zu sich gekommen zu sein. Er versucht, den Dicken von Lonja herunter zu zerren.
„Hau ab, Du fettes Schwein“ zischt er. Lonja atmet auf. „Laß mich ran, ich will
die blöde Kuh ficken, sie hat es nicht anders verdient.“ Wie ein schwerer Sack plumpst der Ältere zur
Seite. Der Junge gibt ihm noch einen Tritt, von dem er ein Stück weiter rollt,
und macht sich an Lonja zu schaffen. Sie sieht noch verschwommen, wie er die
Hose herunter streift, dann wird sie ohnmächtig.
***
Lonja liegt in dem
harten Bett auf dem Rücken, die Beine weit gegrätscht und bemüht, den
Anweisungen der Ärzte Folge zu leisten. Alle Anstrengung vereint sie im Becken,
um das Kindchen herauszupressen. Sie muss genau Obacht geben, damit sie die
Wehen bemerkt, und deren Kraft für die Geburt des Kindes auszunutzen kann.
Ihr Mann sitzt an
Kopfende des Bettes und betrachtet sie liebevoll.
Die Ärzte, es
werden immer mehr, stehen um das Bett herum und schütteln nur die Köpfe. Sie
raunen sich etwas zu, das Lonja nicht versteht.
Erst vor drei
Wochen waren sie in diese Stadt gezogen. Der Umzug, das Einrichten der Wohnung,
die neue Umgebung, all das war ungewöhnlich anstrengend für die schwangere
junge Frau. Vielleicht war das auch der Grund dafür, dass es das Baby nicht die
vereinbarte Zeit aushielt und schon drei Wochen zu früh ans Tageslicht drängt.
Lonja hätte es gar nicht bemerkt, wenn nicht am Morgen ihr Bett unter dem Po
klatschnass gewesen wäre. Sie, die zweiunddreißgjährige dunkelhaarige, schöne
Frau lachte verschämt zu ihrem
Studenten, der sechs Jahre jünger und semmelblond ist, hinüber und roch
unauffällig an dem Nassen. Nein, es ist kein Urin, es riecht anders. Ben hatte
das Gemurkel im Nebenbett bemerkt und war gerade dabei, aufzuwachen. Er sah die
Aufregung seiner Freundin, sah den nassen Fleck neben sich und sagte: „ Die
Fruchtblase“. Er kniete sich hinter die Frau, die auf dem Bettrand saß, legte
die Arme um sie, legte seine Wange an ihre und flüsterte: „Los, Mami,
anziehen!“
„Pressen!“ ruft
einer der Ärzte. „Pressen Sie!“. Lonja sieht in fünf verschiedene auf ihren Schoß starrende Arzt-Gesichter, die
sich plötzlich gleichzeitig entspannen. Ein Gefühl durchströmt ihren Unterleib,
als würden ihn 100 Liter Flüssigkeit auf einmal verlassen. Das Kind ist
geboren, Lonjas Baby ist auf der Welt. Ben weint, streichelt und küsst seine
Liebste und stammelt Dankesworte zu den Ärzten hin. Die Ärzte gratulieren der
jungen Mutter und überlassen der Hebamme das Feld. Die legt der überglücklichen
Frau ihr Kind für einen Moment auf den Bauch. So wie es geboren wurde, mitsamt
der Nabelschnur, noch nicht abgespült, warm weich und feucht. Da passiert etwas
Außergewöhnliches. Als Ben das sieht, verliert er vollends die Fassung. Lonja
weint. Glasklare, dicke, salzige Tränen rinnen ihr die Wangen herab. Sie weint
über das Wunder der Natur und sie weint darüber, dass sie weint. Noch nie in
ihrem ganzen Leben hatte diese Frau je eine Träne vergossen.
Der Sohn von Lonja
und Ben ist ein wundervolles, glückliches Baby. Schon nach zwei Tagen öffnet er die Augen und das erste, was man von
ihm sieht, ist ein Lächeln. Dabei tanzen die winzigsten Grübchen, die es auf
der ganzen Welt gibt, auf seinen Wangen.
Den Ärzten und
Schwestern jedoch ist das Kind suspekt. Es weint nicht. Niemals. Während die
anderen Babys wimmern, schreien, krähen und krächzen lächelt der kleine
neugeborene Sohn nur vor sich hin, mit diesen tanzenden Grübchen auf den
Wangen. Er wird untersucht. Von vorn und hinten, von obern und unten. Seine
Gehirnströme werden vermessen, immer wieder wird er neuen Reaktionstests
unterzogen, aber man findet nichts.
„Es ist angeboren“
sagt die stolze Mutter und nach einer Woche werden die Beiden von dem
glücklichen Vater, dem Studenten, in einem
feinen Taxi nach Hause geholt.
Das geschieht an
einem frostigen Morgen im Februar. Die Sonne hat blutrote Streifen an den
kalten Himmel gezaubert und die Luft ist klar und so starr, als könne sie jeden
Moment zerspringen.
Als Lonja ins
Krankenhaus musste, war sie mitten aus der Einrichtung ihrer gemeinsamen
Wohnung heraus gerissen worden. Heute sieht es hier aus, als würden sie schon
immer darin wohnen. Alles ist perfekt, alles ist geschmackvoll. Lonja traut sich
gar nicht, so genau überall hin zu schauen. Sie kann nicht glauben, was sie
sieht. Ben trägt den Sohn und zeigt ihm das neue Heim. Dann legt er ihn in
seine Wiege und geht zu der Frau, die er so sehr liebt und vor der es noch
niemals gehört hat, dass auch sie ihn liebt. Sie steht im Wohnzimmer und schon
wieder sind Tränen in ihrem Gesicht. Das zweite Mal in ihrem Leben. Diese
Tränen entstammen der Rührung über den liebevoll gedeckten Frühstückstisch, den
ein ganzer Arm voll gelber Tulpen in einem großen, viereckigen Glasbehälter schmückt.
Der Mann geht in
die Küche um Kaffee zu holen, die Frau setzt sich an den Tisch. Sie ist
glücklich. Glücklich? Lonja erschrickt über sich selbst. Sie ist glücklich!! So
ist es also, dieses Gefühl, an dem sie ihr ganzes bisheriges Leben
herumgerätselt hatte.
Der junge Vater
sieht wie sie da sitzt und ihr
verklärter Blick in Richtung der Tulpen über diese hinweg aus dem Fenster hinaus in die
Ferne schweift. Als er den Kaffee auf den Tisch stellt, schrickt sie zusammen
und dreht sich zu ihm um. Sie steht auf, geht zu ihm hinüber, umarmt ihn und
sagt das erste Mal im Leben zu ihm: „Ich liebe Dich“. Beide liegen sich weinend
in den Armen. Der Mann ist überglücklich, diese drei wichtigsten Worte nach so
langer Zeit des Zusammenlebens das erst Mal von seiner Frau zu hören und Lonja
hat das Gefühl, endlich angekommen zu sein. Das Loch in ihrer Seele, das immer
anwesend war, das sie aber nicht erkennen konnte, begann sich jetzt, da sie es
das erste Mal sah, beständig zu füllen und bald schon würde es ganz
verschwunden sein.
Eine lange Zeit
stehen die Beiden in inniger Umarmung versunken am Fenster. Als sie endlich am
Tisch sitzen, kommt Lonja gar nicht zum Essen. Aus ihr sprudeln Worte und Sätze
des Glücks. Sie versucht, ihrem Mann und Freund und auch sich selbst zu
erklären, was passiert ist. Das große Rätsel ihres Lebens hat sich gelöst.
Nachdem sie lange,
lange miteinander geredet haben, spürt die Frau eine unangenehme Spannung in
der Brust. Wieder ein Gefühl, das sie zum ersten Mal erlebt. Doch sie kann sich
nicht lange mit ihren Empfindungen aufhalten, weil ihr bewusst wird, dass sich
gerade die Milch meldet und demzufolge ihr Kind auch Hunger haben müsste. Sie
bittet den jungen Papa den Sohn zu holen, setzt sich bequem in den Sessel und
öffnet schon die Bluse. Der Vater legt ihr das Kind in den Arm, das sofort ihre
Brust sucht. Mit geschlossenen Augen liegt es zufrieden bei seiner Mutter und
trink gierig die Milch.
Plötzlich schreit
die Mutter laut auf. „Au!“ Der Mann
schaut sie ängstlich und besorgt an, auch der Sohn ist zusammengezuckt. „Au!“
lacht sie schon wieder. „Das hat verdammt weh getan, was du gerade gemacht
hast!“ Sie kneift den Kleinen ein bisschen in die Wange und erschrickt. Sofort
bildet sich dort ein grellroter Fleck. Indem kurz darauf das Rot verblasst,
wechselt die Farbe des Fleckes in ein helles graublau. Beide, Lonja und Ben,
sehen mit offenem Mund diesem Schauspiel zu. „Oh entschuldige, mein kleiner
Prinz, ich wollte Dir nicht wehtun.“ Sie beugt ihren Kopf hinunter zum Kopf des
Kindes und legt ihre Wange an seine Stirn. Ihren Mann schaut sie an, als wolle
sie auch ihn um Verzeihung bitten.
„Lonja, kann es
sein, dass es ihm …“ „nicht weh getan hat? …“ ergänzt sie seine Frage. Und sie nickt
traurig. „Du wirst sehr auf dich aufpassen müssen, mein Sohn.“
Sie legt das Kind
jetzt an die andere Brust, da es möglicherweise noch nicht satt ist. Da
geschieht etwas mit ihr, das all die Wunder dieses einzigartigen Tages noch in
den Schatten stellt. Das Kind saugt an ihrer Brust und ein zuerst ganz leichter
Schmerz, der immer intensiver wird, dringt ausgehend von der Brustwarze durch
ihren Körper. Aber nein, es ist gar kein Schmerz. Es ist das Beste aller
Gefühle, die sie jemals gehabt hat. Es dringt bis in die Fingerspitzen, in den
Unterleib, zwischen ihre Beine, die Beine hinunter, und wieder ganz weit hinauf
bis in den Mund. Sie spürt plötzlich ihren Atem schneller gehen und schließt
die Augen.
„Was hast du denn“
fragt ihr Mann „bist du müde?“
„Ja, ich bin müde“
sagt Lonja. Sie schaut ihn dabei mit glänzenden Augen an, so dass ihm ein wohliger
Schauer über den ganzen Rücken prickelt.